migration

Wien, Jan/Feb 2015

INTERVIEW

mit Mag. Judith ANZENBERGER und Mag. Dr. Peter NOWAK zum Bericht Migration & Gesundheit | Gesundheit Österreich GmbH

 

Die Gesundheit Österreich GmbH hat auf Initiative des Bundesministeriums für Gesundheit und der Arbeiterkammer Wien einen zusammenfassenden wissenschaftlichen Literaturbericht zum Thema „Migration und Gesundheit“ erstellt, der am 23. Jänner 2015 von der Studienautorinnen Mag.a Judith Anzenberger sowie dem Abteilungsleiter Gesundheit und Gesellschaft, Mag. Dr. Peter Nowak, präsentiert wurde.

Der Bericht gab in der Folge ausreichend Anlass zur Diskussion unter Experten wie auch Vertretern der Gesundheitspolitik sowie den Gesundheitsinstitutionen.

FINE FACTS hat die Macher des Berichtes interviewt und sie nach den Hintergründen und Fakten befragt.

 

FINE FACTS | Könnten Sie bitte – sozusagen als Abstract – den Inhalt des heute präsentierten Berichtes in seinen wichtigsten Aussagen und Kernelementen in ein paar Sätzen zusammenfassen?

Mag. ANZENBERGER | Bevor man sich mit den Kernelementen des Berichtes auseinandersetzt, ist es überaus wichtig anzumerken, dass Migranten in Österreich eine sehr heterogene Gruppe sind und die Ergebnisse des Berichten keinesfalls verallgemeinert werden respektive auf alle Migrantengruppen projiziert werden dürfen.

Der Bericht wurde primär erstellt, um für Österreich einen Status Quo zu umreißen, sei es in Form einer Gesamtschau der wissenschaftlichen Literatur oder einem Überblick über vergangene und bestehende Initiativen für den Bereich Migration und Gesundheit. Man kann behaupten, dass es in der Vergangenheit durchaus bereits ambitionierte Initiativen gegeben hat bzw. gibt, deren Wiederbelebung, Vernetzung und Integration in den Regelbetrieb aber noch vielfach ausständig ist.

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„FRAUEN MIT MIGRATIONSHINTERGRUND SCHEINEN EINEM ZUSÄTZLICH ERHÖHTEN RISIKO AUSGESETZT ZU SEIN.“

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Der Bericht stellt klar fest, dass Migrationshintergrund – und zwar differenziert nach Faktoren wie Herkunftsland, Sprache etc. – einen negativen Einfluss auf die Gesundheit hat. Die Determinanten dieser negativen Korrelation finden wir aber vor allem in einer sozioökonomischen Benachteiligung wie z. B. einem geringerem Bildungsniveau und geringem Einkommen, aber auch in höheren Arbeitsbelastungen bzw. einer schlechteren Integration in den Arbeitsmarkt etc. von Migranten wieder. Je mehr dieser Faktoren zutreffen, umso höher wird auch das Gesundheitsrisiko. Über diese Faktoren hinausgehend scheint es zudem, dass Frauen einem noch zusätzlich höheren Risiko ausgesetzt sind.

 

FINE FACTS | Ist aufbauend auf den aktuellen Bericht geplant, etwaige Bereiche eingehender zu behandeln? Sehen die beteiligten gesundheitspolitischen Institutionen die Notwendigkeit, den Weg fortzusetzen?

Mag. Dr. NOWAK | Es hat sich während der Erstellung des Berichtes klar gezeigt, dass in manchen besonders wichtigen Bereichen die Arbeit unbedingt fortgesetzt werden muss. Beispiele dafür wären die Untersuchung von Zugangsfragen, die Auseinandersetzung mit Migranten im Alter (mit speziellem Bezug zur Pflege) oder letztlich die genaue Betrachtung von Prädispositionen bei chronischen Erkrankungen wie Depression oder Diabetes. Dazu laufen Gespräche mit allen bisher Beteiligten sowie weiteren Kooperationspartnern, mit dem Ziel, weitere Forschungsprojekte umzusetzen.

 

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Mag. Judith Anzenberger
Mag. Judith ANZENBERGER, seit 2012 bei der GÖG, ist studierte Soziologin (Uni Wien) mit den Schwerpunkten gesundheitliche Chancengerechtigkeit, Gesundheitsberichterstattung und Epidemiologie sowie quantitative Methoden.
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Mag. Dr. Peter Nowak
Mag. Dr. Peter NOWAK, seit 2001 bei der Gesundheit Österreich GmbH, ist studierter Sprachwissenschafter und Psychologe der Universität Wien sowie ausgebildet in den Bereichen Meditation, Gesprächstherapie, Projektmanagement, Organisationsentwicklung, EFQM, Wissensmanagement
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FINE FACTS | Wenn Sie eine Empfehlung an die Politik abgeben könnten: Durch welche Maßnahmen/Hebel – abgeleitet aus den Erkenntnissen des Berichtes – könnte man ggf. weitreichende aber auch schnelle positive Effekte erzielen?

Mag. ANZENBERGER | Neben der vertiefenden wissenschaftlichen Analyse, die jedoch eher mittel- bis langfristig zu sehen ist, könnten schon kleine Maßnahmen – sofern nachhaltig betrieben – bemerkenswerte Effekte erzeugen. Dabei ist beispielsweise anzudenken, Informationsmaterialien nicht nur mehrsprachig sondern auch einfach zu formulieren, Dolmetscher einzusetzen, die auch in der Lage sind, den kulturellen Hintergrund der Patienten einzubeziehen sowie interkulturell geschultes Gesundheitspersonal (beginnend beim Empfang) auszuweiten. In vielen Settings würde dadurch das Vertrauen zu Gesundheitsinstitutionen gestärkt und damit der gemeinsame Umgang wesentlich vereinfacht.

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„NEBEN ‚KLEINEN‘ MASSNAHMEN VOR ALLEM DEN GESELLSCHAFTLICHEN DISKURS FÖRDERN.“

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Neben „kleinen“ Maßnahmen darf aber nicht außer Acht gelassen werden, dass ein gemeinsames – über alle relevanten politischen Institutionen hinweg getragenes – Commitment wichtig ist, welches sicherstellt, dass Menschen mit Migrationshintergrund die gleichen Bildungschancen haben, ihre Gesundheitskompetenz gut ist und die Möglichkeit zur Mitarbeit an einer gesunden und fähigen Gesellschaft gefördert wird.

 

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FACT BOX

Im Vergleich zu Personen ohne Migrationshintergrund…

haben Migrantinnen aus der Türkei oder dem ehemaligen Jugoslawien ein 3-fach erhöhtes Diabetesrisiko.

haben Menschen mit Migrationshintergrund ein vergleichsweise erhöhtes Risiko an Wirbelsäulenbeschwerden, Bluthockdruck, Migräne, Rheumatismus oder Depressionen zu leiden.

leiden Kinder mit Migrationshintergrund überdurchschnittlich oft an Karies.

nutzen Menschen mit Migrationshintergrund häufiger Spitalsambulanzen anstatt die Hausarztpraxen als Erstanlaufstelle.

nehmen Menschen mit Migrationshintergrund weniger oft Vorsorgeuntersuchungen und Früherkennungsprogramme in Anspruch.

 

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Der Literaturbericht „Migration & Gesundheit“ steht hier zum Download zur Verfügung.
Zur besseren Lesbarkeit sind personenbezogene Bezeichnungen in deren üblichen Formen angeführt, beziehen sich aber natürlich zugleich auf Frauen und Männer.